Kirche am anderen Ort 

Ob im Arbeitsleben, bei der politischen Bildung oder im Gedenken: Die Mitarbeitenden des Hauptbereich Seelsorge und gesellschaftlicher Dialog sind Menschen außerhalb der Gotteshäuser nah. Sie regen Diskurse für ein sozialeres Miteinander und ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein an. Sie engagieren sich für gute Bedingungen im Berufsalltag und blicken auf die Zukunft der Arbeit. Als Seelsorgende begleiten sie Menschen, wenn deren Leben kompliziert oder schwer auszuhalten ist.

Seelsorge im Gefängnis

Der Mensch hinter der Straftat

“Jeder Mensch kann schuldig werden”

Rund ein Dutzend Gefängnis-Seelsorger:innen der Nordkirche begleiten Gefangene in der Untersuchungshaft und in der regulären Haft. Sie führen Einzelgespräche und bieten Gruppenaktivitäten an. Auch die Kontaktaufnahme der Gefangenen zu Angehörigen unterstützen sie.

“Jeder Mensch kann schuldig werden und jeder Mensch macht Fehler. Und auch dieser Mensch ist mehr als sein Fehler - ist mehr als seine Schuld. Und ihn eben auch so wahrzunehmen, dass er mehr ist als nur seine Tat, ist, glaube ich, etwas ganz Wichtiges”, sagt Martina Zepke-Lembcke.

Die Pastorin ist als Seelsorgerin in der JVA Lübeck, Schleswig-Holsteins Hochsicherheitsgefängnis. Ihr Arbeitsplatz liegt hinter einer 1,5 Kilometer langen Mauer, gesichert mit Stacheldraht. Sie will mit den Gefangenen ins Gespräch kommen, statt sie zu isolieren.

Neben der engen Zusammenarbeit zu den Gefängnis-Seelsorger:innen anderer Konfessionen fördern sie den gesellschaftlichen Diskurs über Strafvollzug und Resozialisierung. Ihre Leitlinie ist ein christliches Menschenbild, das auf Nächstenliebe und Versöhnung baut.

Mehr über unsere Seelsorge-Angebote

  • Rund ein Dutzend Seelsorgende arbeiten in Justizvollzugsanstalten in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Sie stehen den Inhaftierten unabhängig von ihrer Religion und Konfession als Gesprächspartner:innen zur Verfügung, leiten Gruppenangebote wie Chor und Gesprächskreise und feiern Gottesdienste. Sie sind auch Ansprechpartner für die Angehörigen der Gefangenen und die Mitarbeitenden in den Justizvollzugsanstalten.

  • Ein Ziel der Seelsorge ist es, Gemeinden, Kirchenkreise und Einrichtungen zu unterstützen, ihre Angebote inklusiv für Schwerhörige und Gehörlose zu gestalten. Gehörlose Menschen und ihre Gemeinschaft sollen gestärkt werden. Die Gehörlosen-Seelsorge lädt zu Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen in Gebärdensprache ein. Auch Seelsorge-Gespräche finden in Gebärdensprache statt. Auch bei der Vermittlung von Dolmetschern für Gebärdensprache hilft die Gehörlosenseelsorge der Nordkirche.

  • Polizeiseelsorger stehen allen Mitarbeitenden der Polizei bei beruflichen oder privaten Problemen zur Verfügung und bieten besonders nach belastenden Einsätzen ihre Hilfe an. Die Polizeiseelsorger:innen geben auch berufsethischen Unterricht und führen Fortbildungsseminare durch. In einigen Bundesländern sind sie auch Teil der Kriseninterventionsteams und begleiten schwierige Einsätze. In der Nordkirche gibt es Polizeiseelsorger in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.

  • Im Zentrum der Arbeit steht die Seelsorge nach belastenden Ereignissen und die Begleitung von Menschen in Lebenskrisen. Sie unterstützt Feuerwehrleute nach schweren Einsätzen mit Gesprächsangebote und ist auch in der Ausbildung tätig. Die Feuerwehrseelsorge ist in Hamburg und Schleswig-Holstein zugleich mit der Leitung der Notfallseelsorge beauftragt.

  • Die Flughafenseelsorge bietet hilfsbedürftigen Menschen Rat und Begleitung an. Der Flughafenseelsorger am Airport Hamburg ist Ansprechpartner für Menschen in Krisensituationen. Zudem werden Menschen unterstützt, die sich mittel- und obdachlos am Flughafen aufhalten. Die Flughafenseelsorge im Hamburger Flughafen gibt seit dem Jahr 2000. In der ökumenisch genutzten Kapelle am Terminal 1 finden regelmäßig Andachten und Gottesdienste statt. Sie ist ein Ort der Ruhe für Reisende und Mitarbeitende.

  • Im Sinn des Inklusionsgedankens befasst sich die Fachstelle mit der Frage, wie das Zusammenleben ganz verschiedener Menschen gelingen und wie die Kirche Teilhabe und Teilgabe für alle gestalten kann. Wie wird die Kirche in ihrer Vielfalt zu einem guten Ort für alle?

    Das Team der Fachstelle steht kirchlichen Akteuren mit fachlichem Rat zur Seite und begleitet Gemeinden und kirchliche Einrichtungen auf dem Weg zu einer inklusiven kirchlichen Praxis.

  • In der Nordkirche sind 90 Krankenhausseelsorger:innen in über 70 Kliniken tätig. Die Fachstelle unterstützt die Seelsorger:innen in ihrer Arbeit, setzt sich für die hohen Qualitätsstandards sein, vernetzt und arbeitet eng mit der Krankenhausseelsorge im Kirchenkreisverband und im Erzbistum Hamburg zusammen. Sie hält Vorträge zu Fach-Themen und stärkt die Seelsorge in der Nordkirche.

Seelsorge im Hauptbereich

Im Gefängnis, am Flughafen oder bei Polizei und Feuerwehr - mit den Seelsorgediensten des Hauptbereichs für „Seelsorge und gesellschaftlichen Dialog“ ist die Nordkirche auch an den Orten für die Menschen da, die von klassischen Kirchengemeinden nicht erreicht werden können. 

Auch am Unfallort, am Krankenbett und in öffentlichen Einrichtungen stehen Seelsorgerinnen und Seelsorger Menschen zur Seite, geben Halt, hören zu und spenden Trost und Segen. 

Leitender Pastor dieses Hauptbereichs ist seit 2022 Michael Stahl. Der Hauptbereich hat rund 90 hauptamtlich Mitarbeitende.

Michael Stahl, Leitender Pastor des Hauptbereichs Seelsorge und gesellschaftlicher Dialog


Evangelische Akademie

Ideen entwickeln und gemeinsam umsetzen

Die Stadt mitgestalten - das war von Anfang an ein zentrales Anliegen der Akademiearbeit in der Nordkirche. 2016 hat die Evangelische Akademie deshalb mit der Patriotischen Gesellschaft von 1765 und der Gruppe „Hamburg entfesseln“ die Hamburger Initiative „Altstadt für Alle!“ gegründet.

Ideenwerkstatt für mehr Lebendigkeit

„Die Vision einer lebendigen, vielfältigen und nachhaltigen Innenstadt mit mehr Aufenthaltsqualität, mehr Begegnungsmöglichkeiten ohne Konsumzwänge und weniger Autos sollte Wirklichkeit werden“, erklärt der Direktor der Akademie, Jörg Herrmann.

Die Initiator:innen luden ab 2017 regelmäßig zu Ideenwerkstätten und Workshops ein, aus denen bald konkrete Vorschläge und Projekte hervorgingen. „Uns ging es darum, die Lücke zwischen Erkenntnis und Handeln zu schließen. Gute Ideen sollten endlich umgesetzt werden“, so Herrmann. „Und das klappte sogar.“  

Zwei Beispiele:

Warum nicht das Parkhaus Gröninger Straße in der Nachbarschaft der Katharinenkirche zu einem innovativen sozialökologischen Wohn- und Arbeitshaus umbauen? Diese in einem Workshop im Herbst 2017 erstmals diskutierte und dann konsequent verfolgte Idee fand auch bei der Stadt Resonanz und ist nun auf dem Weg. 2018 wurde die Genossenschaft “Gröninger Hof” gegründet, die seitdem den Umbau vorantreibt.

Auch die im Frühjahr 2018 diskutierte Idee einer temporären Fußgängerzone im Rathausquartier konnte ein Jahr später im Sommer 2019 mit vereinten Kräften realisiert werden. Die Aktion begeisterte die Menschen im Quartier und brachte die Politik in Bewegung. 2021 hat die Stadt entschieden, im Rathausquartier eine dauerhafte Fußgängerzone einzurichten.

Das Gemeinwohl im Blick

Die Evangelische Akademie der Nordkirche engagiert sich nicht nur für die Stadtentwicklung, sondern auch für andere gesellschaftliche Themen. Eine jährliche Konferenz zu sozialpolitischen Themen, die Filmreihe "Licht & Dunkel. Gespräche über Religion und Film" sowie die Regionalzentren für demokratische Kultur in Stralsund und Rostock sind nur einige Beispiele für ihre Arbeit.

Sie versteht sich als Anwältin des Gemeinwohls. Nachhaltigkeit, jugendpolitische Bildung, Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit sind weitere Schwerpunkte der Akademiearbeit im Norden.

Rund um die Rathausstraße entsteht ein Quartier, das fußgängerfreundlich ist und mehr Leben auf der Straße zulässt. Autos sollen hier nur noch während der Lieferzeiten fahren dürfen. Foto: Julia Krause

Doch zurück zur "Altstadt für alle!". Inzwischen ist aus der Initiative ein Verein geworden. So kann die Arbeit in festeren Strukturen mit neuen Möglichkeiten weitergehen. Derweil werden im Hamburger Rathausquartier mehr Fahrradstellplätze und Außengastronomieflächen geschaffen und zusätzliche Bäume gepflanzt.

Veränderung möglich machen

Eine Veränderung, die das Quartier zu einem Ort macht, an dem Menschen sich gerne aufhalten. „Ein Ort“, sagt Jörg Herrmann, „an dem die Evangelische Akademie der Nordkirche dazu beigetragen hat, dass Veränderung möglich wird, wenn man dranbleibt.“

Impulse für eine humane Gesellschaft

Pastor Jörg Herrmann leitet die Evangelischen Akademie der Nordkirche. Foto: Julia Krause

“Nichts muss so bleiben, wie es immer schon war. Eine bessere Welt ist möglich. Davon ist der evangelische Glaube überzeugt. Und dafür engagiert sich die Evangelische Akademie. Sie möchte zur Gestaltung einer humanen Gesellschaft beitragen, indem sie mit ihren Veranstaltungen Gesprächsräume für kontroverse Zeitfragen eröffnet, den Dialog über unterschiedliche Positionen fördert und dabei christliche Perspektiven einbringt.

Ihre Angebote richten sich an Fachleute und interessierte Bürgerinnen und Bürger in und außerhalb der Kirche. Ihr Engagement für das Gemeinwohl ist geprägt von einer wertschätzenden Haltung und einer kommunikativen Praxis. Die Orientierung am christlichen Ethos ist mit der Kompetenz in der Sache verbunden.”

Jörg Herrmann, Direktor der Evangelischen Akademie der Nordkirche

Filmfans: Jörg Herrmann, der Direktor Evangelischen Akademie der Nordkirche, zeigt gemeinsam mit Zeise-Kino-Geschäftsführer Matthias Elwardt, dass Unterhaltung und Glaubensfragen gut zusammengehen. Foto: Julia Krause

Licht und Dunkel: Filme über Glauben und Ethik

Erst schauen, dann mitdiskutieren: Die Reihe “Licht und Dunkel. Gespräche über Religion und Film” der Evangelischen Akademie der Nordkirche und der Katholischen Akademie Hamburg zeigt in Zusammenarbeit mit den Hamburger Zeise Kinos aktuelle Filme, die unter die Haut gehen.

Ob Gesellschaftskritik oder existenzielle Fragen – das Programm für den Montagabend ist handverlesen. Im Anschluss an die Vorführung können die Zuschauer:innen untereinander, aber auch mit Filmleuten, Expert:innen und den Gastgeber:innen ins Gespräch kommen.

Das Programm erscheint in der Regel im Frühjahr und Herbst und präsentiert eine Auswahl aus dem aktuellen Filmangebot. Gezeigt werden Arthouse-Filme mit gesellschaftlicher und kultureller Relevanz, die Anlass zum Gespräch über religiöse, ethische oder gesellschaftliche Fragen geben. Willkommen ist jede:r – ganz unabhängig davon, ob für ihn oder sie Kirche und Glauben im Alltag eine Rolle spielen.

Erinnerungskultur

Verhülltes Kreigsdenkmal in der St. Jakobi Kirche in Lübeck

Wie wollen wir auf die Weltkriege zurückschauen? 

Der Arbeitsbereich Erinnerungskultur der Evangelischen Akademie der Nordkirche beschäftigt sich mit der Reflexion über unsere Vergangenheit. Das Ziel: eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen Gewaltverherrlichung und Kriegerverehrung.

Das Projekt “Denk mal gegen Krieg” erfasst Denkmäler und ihre Hintergründe in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Das Bild zeigt das verhüllte Kriegsdenkmal in der Lübecker St. Jakobi Kirche. Foto: Evangelische Akademie der Nordkirche

“In manchen Kirchenräumen existiert heute noch eine Bild- und Formensprache, die NS-Idealen entspricht. Und wenn das dort unkommentiert gezeigt wird, transportieren wir heute diese Narrative weiter.”

Stephan Linck

Interview zu Gedenkkultur

Mit einem kritischen Blick
auf den Krieg

Vor vielen Kirchen, auf Friedhöfen und anderen öffentlichen Plätzen stehen bis heute Kriegerdenkmäler in Erinnerung an die getöteten Soldaten  der beiden Weltkriege. Viele von ihnen sind bei genauer Betrachtung aus der Zeit gefallen. Stephan Linck, Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit in der Nordkirche, erklärt, wie ein reflektiertes Gedenken umgesetzt werden kann.

Stephan Linck, Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit in der  Nordkirche

Seit Jahrzehnten leben wir mit Denkmälern, die Soldaten ehren. „Treue um Treue“ ist eine gängige Inschrift. Was genau ist daran schwierig?

Diese Inschrift war üblich nach dem Ersten Weltkrieg. „Treue um Treue“ ist eine Verkürzung der auch häufig verwendeten Inschrift „Wir Tote fordern mit unserem Recht die alte Treue von neuem Geschlecht“. Also: Die Treue, mit der wir in den Tod gegangen sind, die fordern wir auch von der nachfolgenden Generation. Mit dieser Heroisierung „Treue um Treue“ ist nach dem Ersten Weltkrieg eine Aufforderung zur Revanche gemeint. Und die hat schlussendlich dem nationalsozialistischen Angriffskrieg 1939 ideologisch den Weg geebnet. Vergleichbar ist die Inschrift „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“ am Mahnmal am Dammtorbahnhof in Hamburg.

Trotzdem haben wir noch relativ viele von diesen Denkmälern bei uns im Norden. Warum sind sie so lange unkommentiert gelassen worden?

Ja, das ist erstaunlich. Und es ist ungeheuerlich, weil diese Denkmäler jedes Jahr am Volkstrauertag im Zentrum eines Rituals stehen. Da kommen zum Beispiel die Bürgervorsteher:in, die Pastor:in und die Freiwillige Feuerwehr und legen einen Kranz nieder.

Das ist lange Zeit gar nicht problematisiert worden. Es gab keine kritische Auseinandersetzung. Man muss den Leuten vorwerfen, dass sie nicht lesen, was dort steht, wovor sie einen Kranz niederlegen. Das zu ändern, ist eine Aufgabe, bei der man sehr viel Geduld und Ausdauer benötigt.

Wie gelingt der Perspektivwechsel?

In der Regel ist es nötig, dass sich eine Initiative vor Ort entwickelt, die den Gedanken aufgreift. Ein seltener Idealfall: Ich habe einen Youtube-Clip über ein Dorf gemacht, das ein sehr bizarres Kriegerdenkmal hat.

Und in diesem Video ende ich mit Fragen. Gefragt habe ich: Wäre es nicht einen Gedanken wert, dass sich eine Schulklasse vor Ort um dieses Denkmal kümmert? Und tatsächlich hat sich ein Lehrer den Clip angeschaut und ihn aufgegriffen – und ein Schulprojekt begonnen.

In diesem Beispiel ist das Tolle, dass wir dadurch eine Diskussion in den Familien haben: Die Kinder gucken, lesen und staunen – und verstehen nicht. Sie konfrontieren die Eltern damit. Also das finde ich eine sehr konstruktive Entwicklung. Und die Eltern erfahren auf diesem Weg, dass diese Denkmäler eine Sinnstiftung haben, die junge Leute überhaupt nicht mehr dechiffrieren können. Die verstehen nicht, was das soll.  

Glücklicherweise sind einige Denkmäler heute so umgestaltet worden, dass sie einen kritischen Blick zulassen. Welche Gestaltung ist aus Ihrer Sicht besonders gelungen?

Eine besonders weitreichende Veränderung ist die in Lübeck-Schlutup: Dort sind die Tafeln, auf denen die Lebensdaten der Soldaten vermerkt sind, aus ihrer alten Position entfernt worden und auf einen riesigen Haufen gestapelt worden, der fast wie ein Scheiterhaufen wirkt. Aus dieser Anmutung eines Scheiterhaufens ragt eine Statue heraus: eine klagende, anklagende Frau. Da ist gewissermaßen die gesamte Anlage in ihrer Heroisierung und Sakralisierung komplett zerstört worden.

 Es gibt auch extreme Gegenbeispiele: eine Restaurierung ohne Einordnung. Was für Motive spielen da eine Rolle? Politische?

Nein, es sind nicht nur politische Motive. Was das angeht, würde ich im Regelfall sagen, es ist Reflexionslosigkeit. Die Leute denken nicht darüber nach. Oft geht es bei den Restaurierungen um die Namen. Im ländlichen Raum ist es häufig so, dass die Nachkommen noch im selben Ort leben – und denen ist es wichtig, dass die Namen sichtbar sind.

Sie steht für die Verwüstung und das Leid, das Krieg anrichtet: Auf dem Friedhof der Fischerkirche St. Andreas in Lübeck-Schlutup steht heute die Skulptur einer klagenden Frau zwischen den Tafeln mit den Namen der getöteten Soldaten.

Foto: Evangelische Akademie der Nordkirche

Denkmäler früher und heute

  • Initiiert worden war das Denkmal vor der St. Johannis Kirche in Hamburg-Altona in den 1920er Jahren von überlebenden Soldaten des 1. Weltkrieges, die damit an ihrem ehemaligen Garnisonsort an ihre toten Kameraden erinnern wollten. Die Stadtverwaltung stimmte dem mehrheitlich zu.

    Und so entstand ein 8,5 Meter hohes Werk, das einen nackten Krieger mit Schwert und Schild zeigt. Die Inschrift lautet: „Den gefallenen Helden zum dankbaren Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung, den kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung“.

    Damit ist das Denkmal nicht nur in seiner optischen Gestaltung weit von der brutalen Realität des 1. Weltkrieges entfernt. Es legt auch nahe, dass ein neuer Krieg wünschenswert wäre.

    Gegenwind bekam der Kriegerkult in den 1990er Jahren von Pastor Ulrich Hentschel: Er begründete eine Initiative zur Umgestaltung, um unmissverständlich klarzumachen, dass Kirche und Kriegsverherrlichung nicht zusammengehen.

    1994 beschloss der Kirchengemeinderat die Neugestaltung und wählte unter mehreren Entwürfen den von Rainer Tiedje aus: Die dunkle Darstellung eines Leidenden auf Glas steht seitdem vor dem Mahnmal. So sehen Betrachtende die Grausamkeit des Krieges in krassem Kontrast zum Heldenkult des ursprünglichen Monuments.

  • In der Lübecker Kirche St. Jakobi steht bereits seit 1919 eine überlebensgroße Statue aus Muschelkalk: der „Trauernde Landsturmmann“ des umstrittenen Künstlers Fritz Behn. Links und rechts sind die Namen der getöteten Soldaten der Gemeinde in den Ziegelstein gehauen.

    Der „Landsturmmann” hält mit ernster Miene den Kopf gesenkt, in seinen Händen hält er einen Stahlhelm. Wahrscheinlich sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, wie demütigend der Versailler Vertrag von vielen Deutschen empfunden wurde. Impliziert wird indirekt der Wunsch nach Rache.

    Seit 2017 verhüllt eine acht Meter lange Stoffbahn in der Form eines angedeuteten Kreuzes die Figur, ohne dass diese dahinter komplett verschwindet. Die Künstlerin Maria Moser entwickelte diese Idee.

    Somit tritt die alte Gedenkkultur in den Schatten einer neuen: Die Getöteten sind nicht vergessen, doch sie werden weniger als Helden denn als Opfer eines Gewaltexzesses gesehen, der sich niemals wiederholen darf.

    Wer mag, kann auf der daneben angeordneten Papierwand Gebete und Wünsche aufschreiben. Die Betrachtenden werden also angeregt, hinter die Kulissen zu blicken, um ein vielschichtiges Bild von Krieg und Tod zu bekommen – wortwörtlich und im übertragenden Sinne.

Evangelische Studierendengemeinde

Eine Heimat auf Zeit

Jeden 9. November reinigen die Mitglieder der ESG Greifswald die Stolpersteine der Stadt. Auch die Andacht für die Opfer des Holocaust wird von den Studierenden mitgestaltet. Foto: Julia Krause

Etwa 80 Menschen singen, beten und schweigen zusammen vor einem Haus in Greifswald, in dem früher mal ein jüdisches Gebetshaus war. Sie hören zu, was die Mitglieder der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in ihrer Andacht zu sagen haben.

Da ist die Studentin Katharina Lottes, die „Bewahre uns, Gott“ auf der Querflöte spielt. Der Student Jens Noske, der im Sommer 2016 Überlebende des KZ Ravensbrück traf, erzählt den Anwesenden von seinem Gefühl der Schuld und Ohnmacht am Ort des Verbrechens. Und wie eine alte Dame dort anfing zu singen – und ihm so signalisierte: Es ist in Ordnung. Der Schmerz darf sein. Und das Leben danach auch.

Erinnerung gehört zur christlichen Kultur

Die Andacht ist berührend. Mehrere Menschen bedanken sich bei den Studierenden, bevor sich das Grüppchen langsam teilt und die ESG auf verschiedenen Routen zu den Stolpersteinen der Stadt aufbricht. Die Studierenden reinigen – wie an jedem 9. November – die Namen der Greifswalder Bürgerinnen und Bürger, die von den Nazis verschleppt und ermordet wurden.

Mit der gemeinsamen Erinnerung bekennen sie sich zu ihren christlichen Werten. In DDR-Zeiten hatten die Zusammenkünfte unter dem Dach der Kirche eine gewisse Brisanz, sagt Pastor Johann Riedel.

Heute gehe es weniger darum, sich kritisch abzuheben. Vielmehr ist die ESG eine Art „Heimat auf Zeit“ geworden – ein Ankerpunkt, für alle, die sich nach Gemeinschaft sehnen, sagt er.

Uneitles Miteinander

Jeden Montag lädt Pastor Riedel zu einem Themenabend mit Essen und Andacht in der Lutherstraße 8 ein. Doch auch außerhalb dieser Zeit findet sich in der Küche mit zusammengewürfelten Möbeln, den Bierkästen und dem Tisch-Kicker immer jemand zum Reden. „Die ESG ist erfrischend uneitel“, sagt Riedel. „Wir verstehen das Miteinander in der Gemeinde als geistlichen Weg. Da ist wenig Fassade“.

Und das kommt auch bei denen an, die ohne christlichen Bezug aufgewachsen sind. So wie Robert Riep. Beim Gang zu den Stolpersteinen erzählt der Jura-Student, dass er aus einer Hamburger Familie stammt. Die letzte enge Verwandte, die aktiv etwas mit Kirche zu tun hatte, sei seine Oma gewesen.

Gebete, Segensworte, Gottesdienste – das spielte in seiner Kindheit und Jugend keine Rolle. Bis ein Freund ihn mit zu den ESG-Andachten nahm. „Ich fand das gut. Ein schönes niedrigschwelliges Angebot. Ich habe mich gleich wohlgefühlt“, sagt er.

Im Sommer ließ Robert sich in der Studierendengemeinde taufen. Inzwischen ist auch seine Mutter wieder in die Kirche eingetreten.

Christine Grafe und Deborah Gläsner (Lehramtsstudentinnen) zur Frage:

„Welchen Wert hat die Reinigung der Stolpersteine für euch?

Robert Riep (Jura-Student) zur Frage:

„Was bedeutet dir die Evangelische Studierendengemeinde?“

  • Zur Nordkirche gehören fünf Evangelische Studierendengemeinden (ESG): in Flensburg, Kiel, Rostock, Greifswald und Hamburg.

    Bei den regelmäßigen Treffen geht es um Glaubensthemen und um ethische Fragen mit Bezug zu Bildung und Wissenschaft.

    Die Hochschüler:innen organisieren gemeinsame Aktivitäten. Selbstverständlich sind auch die Pastor:innen als Ansprechpartner:innen für die Studierenden aus dem In- und Ausland vor Ort.

  • In Hamburg hat seit mehr als 40 Jahren ein besonderes Projekt Erfolg: die studentische Telefonseelsorge. Dabei helfen von Pastor:innen und Psycholog:innen ausgebildete Studierende anderen Studierenden.

    Zu erreichen ist die Telefonseelsorge täglich von 20 bis 24 Uhr unter 040-411 70 411. Sie berät auch Hilfesuchende anderer Hochschulen.

Renate Fallbrüg, Leiterin des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt der Nordkirche. Foto: Frank Heidrich

Kirche und Arbeitswelt

„Der Mensch ist immer auch ein berufstätiges Wesen“

Arbeit gehört zum Leben. Bereits in den Geschichten der Bibel wird davon erzählt, welche Berufe die Menschen hatten: Fischer, Zöllner, Tischler, Hirte oder Zimmermann. Auf der Basis des christlichen Menschenbildes engagiert sich der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) für eine menschengerechte Gestaltung von Arbeit und für nachhaltiges Wirtschaften.

Arbeit gibt dem Tag Struktur, egal ob Hauptarbeit, von der wir leben, Care-Arbeit, die zu unserem Leben dazugehört oder die ehrenamtliche Arbeit. Sie hält unsere Gesellschaft zusammen. Ohne Arbeit in irgendeiner Form geht es nicht.
— Renate Fallbrüg, Leiterin des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt

Fragen rund um einen gerechten Lohn, Soziales und das Thema Sonntagsarbeit liegen dem KDA am Herzen. Die Mitarbeitenden sind Vermittler:innen zwischen Kirche und Berufswelt. Sie beraten Arbeitnehmer:innen, Selbstständige und Unternehmer:innen und organisieren Vorträge sowie Workshops. Digitalisierung, Mobbing-Beratung, New Work und Nachhaltigkeit sind die aktuellen Themen.

„Wir haben zwei Blickrichtungen“, sagt KDA-Leiterin Renate Fallbrüg. „Der eine Blick richtet sich an die Außenhaut. Also dorthin, wo wir die Kirche nach außen repräsentieren in Wirtschaft und Arbeitswelt, bei Kammern, Verbänden und Gewerkschaften.”

Ebenso suche der KDA das Gespräch mit Führungsverantwortlichen, Beschäftigten, Betriebsrätinnen und Betriebsräten. „Hier hören wir zu und fragen nach aktuellen Themen und Entwicklungen“.

Der andere Blick gehe in die Kirche hinein: So unterstützt der KDA kirchliche Leitungskräfte und Gremien dabei, zu wirtschaftlichen Themen und Entwicklungen in der Arbeitswelt informiert und auskunftsfähig zu sein. „Wir machen deutlich, der Mensch ist nicht nur ein privates Wesen, der getauft wird, heiratet und beerdigt wird, sondern er ist immer auch ein tätiges Wesen. Und für dieses Tätigsein bieten wir eine christliche Orientierung“, so Renate Fallbrüg. Mehr zum KDA

Landwirtschaft beim KDA: Nutztierhaltung, Kirchenland und das Sorgentelefon für landwirtschaftliche Familien

Ehrlich und geerdet

Für Jan Menkhaus gibt es keinen schöneren Beruf als den des Landwirts. Aber er kennt auch die Schattenseiten des Berufs und sieht vor allem uns Konsument:innen in der Pflicht für eine nachhaltigere Form der Landwirtschaft.

„Unser Wohlstand vernichtet unseren Planeten“, sagt Jan Menkhaus. „Wir müssen unser Konsumverhalten ändern, damit nachfolgende Generationen noch etwas Vergleichbares vorfinden wie wir.“

Menkhaus ist wissenschaftlicher Referent für Landwirtschaft und Ernährung beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA).

Konsumgewohnheiten ändern – das klingt nach einem frommen Wunsch, könnte man denken. Doch die Nordkirche hat bereits ein konkretes Projekt an den Start gebracht: die Solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi. Die Kirchengemeinde Braderup-Klixbüll probiert dies auf ihrem Land aus – mit Erfolg.

Wo vorher Mais für die Biogasanlage angebaut wurde, wächst jetzt Gemüse. Anteilseigner:innen zahlen monatlich oder jährlich Geld ein und bekommen dafür einen Anteil der Ernte. Die Landwirt:innen haben Planungssicherheit und – unabhängig vom Weltmarkt – ein festes Jahreseinkommen.

„In schlechten Jahren gibt es nicht so viel, in guten Jahren umso mehr. Das führt bei den Verbraucher:innen zu einer ganz anderen Wertschätzung der Lebensmittel.“

Jan Menkhaus im Luthergarten in Hamburg. Wer Lust hat, kann dort gärtnern, Hühner füttern oder einfach nur Freizeit genießen. Foto: Simone Viere

Besitz bedeutet Verantwortung

Menkhaus sieht hier ein großes Potenzial und eine große Verantwortung. Denn erstens setzt die Kirche sich für Klimaschutz, Artenvielfalt und Nachhaltigkeit ein. Zweitens sind im Gebiet der Nordkirche rund 58.000 Hektar im Besitz von Kirchengemeinden.

Menkhaus wünscht sich, dass viel mehr Kirchengemeinden ansprechbar für solche Projekte wären. Sie könnten jungen Landwirtinnen und Landwirten so Zugang zu Boden und Perspektiven für die Zukunft verschaffen.

„Für mich ist Landwirt sein eine sehr ehrliche Arbeit. Man arbeitet mit und in Gottes Schöpfung – etwas Geerdeteres gibt es eigentlich gar nicht.“

Angst vor Perspektivlosigkeit

Doch vielen kleinbäuerlichen Betrieben geht es nicht gut. Das erfährt Menkhaus aus erster Hand durch seine Arbeit beim KDA-Sorgentelefon für Landwirte. Der Lebensmittelhandel kauft global günstig ein. Die landwirtschaftlichen Betriebe konkurrieren mit Produkten, die weltweit produziert werden. „Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr haben Bauern ihre Erdbeerfelder umgebrochen, um dort Mais anzubauen, weil sie mit Biogas mehr Geld verdienen können als mit Erdbeeren,“ sagt der Diplom-Landwirt.

Die Betriebe litten unter dem System, der Bürokratisierung und dem finanziellen Druck, sagt Menkhaus. „Das Schlimmste ist die Perspektivlosigkeit, besonders in der Tierhaltung.”

Ideen für die Zukunft

Die Gesellschaft wisse eigentlich nicht, wie die Tiere gehalten werden sollen. Doch wenn ein Betrieb heute einen neuen Stall baue, dann werde dieser über 20 bis 30 Jahre abgeschrieben, erläutert Menkhaus. „Der Landwirt weiß heute aber gar nicht, ob dieser Stall in 20 Jahren noch gewünscht ist. Wenn die Art der Haltung dann keine Akzeptanz mehr findet, kann damit auch kein Geld mehr verdient werden“.  

Die Landwirtschaft der Zukunft sieht für Menkhaus definitiv anders aus: „Wir werden mit dem auskommen müssen, was uns die Natur zur Verfügung stellt. Mehr Ökologisierung, weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, mineralischen Düngemitteln und fossiler Energie zur Beackerung“.

Zwei Frauen treiben eine Herde Kühe auf eine Weide. Sie sind von hinten zu sehen, Sonnenstrahlen brechen durch den Himmel.

Viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche beschäftigt, wie wir uns ernähren und woher unser “täglich Brot” eigentlich stammt. Foto: epd-bild / Martin Egbert

Mehr Tierwohl, mehr Nachhaltigkeit - für Jan Menkhaus ein Schritt in Richtung Zukunft der Landwirtschaft. Im Interview spricht er darüber, welche Rolle die Kirche dabei spielen kann, über die Notwendigkeit, unser eigenes Konsumverhalten zu ändern, und darüber, warum Landwirt sein für ihn - trotz aller Herausforderungen - noch immer der schönste Beruf der Welt ist.

Hier finden Sie demnächst weitere Bereiche zum Thema:
10 Jahre Nordkirche